5. Ursachen für den erhöhten Sauerstoffmangel in Uferregionen des Bodensees und lokale Auswirkungen auf Flora und Fauna

Ursachen für den extremen Sauerstoffmangel am Grund einiger Uferbereiche des Bodensees (um 1970)

Neben den schon in den vorigen Abschnitten erwähnten, umfassenden Ursachen eines allgemeinen Sauerstoffmangels in Bodenregionen im Zuge der Eutrophierung sind nach meiner Ansicht an den Uferregionen einige weitere Faktoren besonders bzw. zusätzlich zu beachten:

Wie vorher erläutert, tritt die Eutrophierung des Bodensees seit etwa 1950 messbar auf. Dies bedeutet, dass bis 1970 schon zwei Jahrzehnte lang eine ständig ansteigende Sauerstoffzehrung stattfindet. Zunächst beschränkt sich diese besonders auf das Hypolimnion, das vom relativ gut durchlüfteten, sauerstoffreichen Epilimnion oft durch die Sprungschicht getrennt wird. Jedoch ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Sauerstoff-Konzentration im Hypolimnion so stark abgenommen hat, dass nun durch den größeren Konzentrationsunterschied eine stärkere Sauerstoff-Diffusion vom Epilimnion ins Hypolimnion stattfindet, oder aber eine Auflösung der Sprungschicht in Frühjahr und Herbst das extrem sauerstoffarme Wasser ins Epilimnion befördert. Da aber der Sauerstoffeintrag in den See relativ konstant bleibt, nimmt die Sauerstoff-Konzentration des Epilimnions mit der fortschreitenden Zehrung im Hypolimnion langsam ab. Besonders betroffen sind die Bereiche kurz über der Sprungschicht, die vielleicht schon in der gleichen Höhenlage wie die Bodenregionen des Ufers sind. Jedoch spielt ein weiterer Aspekt eine wesentliche Rolle: Da das Epilimnion einer gewissen Wasserumwälzung bzw. bestimmten Strömungen unterworfen ist, strömt das sauerstoffarme Wasser, das sich knapp über der Sprungschicht befindet, entweder an die Oberfläche und wird mit Sauerstoff angereichert oder in sehr strömungsarme Bereiche des Gewässers, den Bodenregionen des Ufers, wo es sich über längere Zeit immer mehr ansammelt. Der Grund dafür, dass am Grund der Ufer eine geringe Strömung herrscht, ist einerseits physikalischer Herkunft, andererseits durch die ohnehin erhöhte Verkrautung hervorgerufen. Die bereits erwähnte Flotation und Ablagerung von Algen in Uferbereichen ist eine zusätzlicher sauerstoffzehrender Umstand.

Schema zu der langfristigen Sauerstoffzehrung in den Uferbereichen des Bodensses

Auswirkungen auf die Organismen in diesen Uferbereichen

Weniger durch den starken Sauerstoff-Mangel als vielmehr durch schlechte Lichtverhältnisse, hervorgerufen durch Verkrautung und Algenablagerung, nimmt die Vielfalt und die Quantität der Flora vor allem der höheren Wasserpflanzen ab.

Von der extremen Sauerstoff-Knappheit sind vor allem diejenigen Arten betroffen, die ganz oder zeitweilig die Bodenregion in Ufernähe bewohnen. Negative Auswirkungen, d.h. ein drastischer Rückgang der Bestände, zeigen sich bei den aerob lebenden Organismen, während die Populationen der Anaerobier stark ansteigen. Einige aerobe Arten ändern die räumliche Lage ihres Lebensraums passiv oder aktiv hin zu sauerstoffreicheren Wasserzonen bzw. meiden diese sauerstofffreien Bereiche. So zum Beispiel Fische bestimmter Arten, Planktonorganismen wie Räder- oder Wimpertierchen und Kleinkrebsarten.Oder auch im freien Wasser lebende Eisenbakterien, die zur energiegewinnenden Oxidation der Eisen(II)-Ionen zu Eisen(III)-Ionen Sauerstoff benötigen. Da im Zuge der Sauerstoffzehrung sich nicht nur die Grenzen zwischen sauerstoffarmen und –reichen Zonen verändern, sondern als Folge davon auch die Bereiche eisen(II)- und eisen(III)-haltigen Wassers, wandern die Eisenbakterien-Populationen entsprechend der Grenzverschiebungen in oberflächennähere Bereiche. Unter Kenntnis des Phospor-Eisen-Kreislaufs bedeutet dies eine weitere Verschärfung des Problems Eutrophierung und Sauerstoffzehrung in Bodennähe, da Eisen(II)-Ionen nur noch in Oberflächennähe in ausfällende Eisen-Phosphorverbindungen umgesetzt werden. Die wohl am stärksten negativ betroffene Lebensgemeinschaft ist das Benthos. Unter dieser Bezeichnung fasst man die am Grunde lebenden, festsitzenden Organismen (Sessiles Benthos) und frei beweglichen Organismen (Vagiles Benthos) zusammen. Destruenten-Populationen wie bodenbewohnende Hüpferlinge (Harpacticiden), Muscheln, Wasserschnecken oder Planarien, die eine Klasse der Plattwürmer bilden und sich entweder räuberisch von Wimpertierchen sowie Kleinkrebsen oder von Algen und Bakterien im Schlamm ernähren, nehmen stark ab. Andere benthale Formen werden nicht nur durch den Sauerstoff-Mangel belastet, sondern auch durch eine fehlende Nahrungsquelle, weil ein Teil der Planktonorganismen nur noch in sauerstoffreichen Wasserzonen vorkommt. Die im Pflanzenbewuchs und Bodenschlamm lebenden Libellenlarven können, wie viele andere Wasserinsekten, in den sauerstoffarmen Regionen nicht überleben. Auch dies ist sehr nachteilig, da sie als räuberische Organismen Kleinkrebse, Würmer, Wasserinsekten und sogar Jungfische erbeuten und in einem späteren Lebensstadium das Gewässer verlassen. Damit führen sie Biomasse aus dem Gewässer ab und wirken einer Eutrophierung entgegen. Ebenso sind die Organismen des Nektons betroffen, d.h. alle aus eigener Kraft, sich unabhängig von den Strömungen des Wassers fortbewegenden Tiere, also vor allem Fische. Diese können in sauerstoffarme Uferregionen gelangen und infolgedessen ersticken. Insbesondere nektobenthale Fischarten wie der Europäische Wels sind gefährdet. Ebenfalls ist ein Rückgang derjenigen Fischarten zu verzeichnen, die ihre Eiablage und -Befruchtung am Grund ausführen. Das Sterben von Fischen und anderen höheren Lebewesen ist insofern problematisch, dass die Anzahl der höheren Glieder in der Nahrungskette sinkt und damit die autotroph produzierte Biomasse in geringerem Maße langfristig von diesen Organismen aufgenommen und gespeichert wird. Deshalb lagert sich noch mehr organischer Schlamm am Boden ab und verstärkt die Sauerstoffzehrung. Viele Arten aerober Bakterien verlieren in den sauerstoffarmen Bodenregionen des Ufers ihre Lebensräume, so zum Beispiel nitrifizierende Bakterien. Lediglich anaerob lebende denitrifizierende, die molekularen Stickstoff bilden, und ammonifizierende Bakterien, die Ammoniak enstehen lassen, sowie Schwefelbakterien können in einem solchen Milieu überleben. Demzufolge steigen die Populationsgrößen dieser Arten an. Schließlich sind bestimmte im Wasser lebende Pilzarten vom Rückgang der Populationsgröße betroffen. Diese Organismen sind einerseits Destruenten und Mineralisierer (Reduzenten), andererseits gehen sie mit bestimmten höheren Pflanzen Symbiosen ein, sodass ein Rückgang des Pilzbestandes sich auf diese spezialisierten Pflanzenpopulationen nachteilig auswirkt.

Allgemein haben alle Auswirkungen auf die Organismen in den nahezu sauerstofffreien Bodenbereichen des Ufers verheerende Folgen für die Vielfalt von Flora und Fauna im Uferbereich und sogar im ganzen Bodensee.